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Bis jetzt hatte noch niemand außer Sebastian Salzinger selbst und sein Schäferhund namens Killer das Haus in der St.-Benedikt- Straße Nummer sechzig seit seinem Einzug betreten. Und das war gewollt.
Die Fenster waren mit blickdichten Vorhängen zugezogen und nur durch das Küchenfenster war ein Blick ins Innere des Zimmers möglich. Auch dies war geplant, um der natürlichen Neugier seiner Nachbarschaft soweit entgegenzukommen, dass nicht der Eindruck entstand, etwas Verheimlichen zu wollen.
In Kürze hatte er vor, seine spartanische Lebensweise zu ändern. Es gab nur noch etwas zu erledigen und eine Entscheidung zu treffen. Doch bis es soweit war, machte es ihm nichts aus, mit einem Minimum an Konsumgütern auszukommen. Er genoss es richtiggehend.
In der Küche öffnete er das Fenster und tat so, als würde er das Aufblitzen von Herrn Lohmeiers Fernglas hinter der Gardine im gegenüberliegenden Haus, nicht bemerken. Langsam hob er den Espressokocher aus dem sonst leeren Hängeschrank und befüllte ihn mit Kaffeepulver und Wasser. Seine einzige Espressotasse stand bereits gespült auf der Anrichte.
Bis das Wasser kochte, stellte er sich ans Küchenfenster und ließ den Blick über die Nachbarhäuser streifen. Herr Lohmeier mit seiner manischen Überwachungs- und Kontrollsucht war aufgrund seines exakten Tagesablaufs mehr als kalkulierbar und leicht zu umgehen. Das hatte offensichtlich auch Herrn Lohmeiers direkte Nachbarin, Frau Zwiebel, entdeckt.
Sebastian musste unwillkürlich grinsen. Denn auch Frau Zwiebel hatte ihre Geheimnisse und ihre Aktivitäten so abgestimmt, dass Herr Lohmeier nichts mitbekam. Und seine neue Nachbarin, diese Kleine, die das Haus neben dem seinen erben würde? Nicht unattraktiv. Keines dieser Magermodels, aber auf die stand er sowieso nicht. Doch irgendetwas sagte ihm, dass es sich bei ihr um eine chaotische Person handelte. Das waren die Unberechenbarsten von allen.
Vielleicht irrte er sich auch. Aber das kam eigentlich so gut wie nie vor. Seiner angeborenen Menschenkenntnis verdankte er es, noch am Leben zu sein. Für Frauen hatte er sowieso keine Zeit.
Leise schloss Sebastian Salzinger wieder das Küchenfenster. „Genug für heute, Herr Nachbar“, sagte er und wandte sich seinem Espressokocher zu. Wo ist Killer, dachte er, während er sich Zucker in die dicke, schwarze Flüssigkeit kippte. Er wanderte mit der Tasse durch den leeren Flur und das Wohnzimmer, in dem nur ein Tisch und ein Stuhl als Einrichtung dienten. Die Terrassentür stand einen Spalt offen.
„Killer!“
„Wuff, wuff“, kam es aus dem Nachbargarten.
Sein Hund hörte sofort auf jedes Kommando, es war ihm aber nicht abzugewöhnen, Katzen zu jagen, besonders die schwarze Streuner hatte es ihm angetan. Kopfschüttelnd blickte er über die Gartenhecke und brach in schallendes Gelächter aus.
Killer lag immer noch im Gras, während Karin Müllers Kopf und Oberkörper aus einem Kellerfenster ragten. Die einzige Bewegung dieses komischen Standbildes ging von Killers Schwanzspitze aus. Das Haus ist doch noch versiegelt, dachte Sebastian Salzinger, das ist ja hoch interessant, dass diese Karin Müller durch ein Kellerfenster einbricht.
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